Wolf Böwig ist Fotograf, Kriegsreporter und Weltreisender. Seine Fotografien und Collagen sind eindrückliche wie vielschichtige Wegweiser durch die grausamsten Winkel dieser Welt. Anfang diesen Jahres führte ihn sein Weg in die Flüchtlingslager nach Lesbos, Samos, Chios und Kavala. Seine Erlebnisse dort zeigt nun das Erlanger Ausstellungsprojekt, das den Gewaltraum Europa in den Fokus rückt. Der Konflikt brennt vor unserer Haustüre an den europäischen Außengrenzen genauso wie in den griechischen Lagern. Der Schriftsteller Marko Dinić, der auch zwei Stationengespräche mit Wolf Böwig führen wird, beschreibt die Arbeiten so: „Wo hat die Grenze jemals das auseinandergerissen, was die Gewalt nicht willens war, aufrecht zu erhalten. Gibt es die Grenze überhaupt – oder gibt es nur den Menschen, in dem ich alles Schlechte vermute. Seine Nationen, seine Hautfarben, seine Sprachen, seine Ursachen, seine Grenzen, seine Gewalt lassen die Kinder nachts nicht schlafen. Tagsüber sind wir müde von den Nachrichten, die sich nachts wie Wasser in Regentonnen sammeln: Gestern ist es wieder einmal passiert – mehr als achthundertdreißig / dreihundertzwanzig / achtzig / hundertsiebzig / vierzigtausendfünfhundertfünfundfünfzig. Niemand redet über so viele Silben – von Zahlen ganz zu schweigen. Ein Boot voller Niemand ist die Rede nicht wert. Was lässt uns nachts nicht schlafen, was tagsüber sich wegzählen lässt. Zäher Gedanke. Ich tue den Menschen nicht recht.
Die Grenze ist der Gewaltraum – Traum des patrouillierenden Soldaten. Ich tue dem Soldaten nicht recht, er hat schließlich eine Familie zu ernähren mit Gummigeschossen, Knüppeln, Schlägen, Schrot und Blei. Die Werte warten – geduldig lassen sie jede Vergewaltigung eines Kindes durch einen Soldaten über sich ergehen. Der Tod klopft, auch er muss sich einreihen – zuerst muss sich die Lunge mit Wasser füllen. Niemand redet über so viele Menschen. Europa ist eine Statistik. Die Grenze schläft.“