Die Idee ist ebenso faszinierend wie verrückt: Ein wildes, unerschrockenes Mädchen, das sich Kerze nennt, nimmt die Gewohnheiten eines Tieres an. Natürlich nicht einfach nur so. Es gibt einen konkreten Anlass. Kurz vor den Sommerferien vermisst die alte Hitschke ihren Hund. Er heißt Power, ist wie vom Erdboden verschluckt und nirgends aufzufinden in dem kleinen Dorf. Die Hitschke hat sonst nicht viel, und Kerze verspricht, das Tier wieder aufzutreiben. Sie vermutet Power im Wald, fängt an zu suchen und gewinnt ihre Schulkameraden für die Mission. Um Power auf die Schliche zu kommen, verhunden Kerze und ihre Freunde nach und nach. Aus den Kindern wird ein wildes Rudel, von Kerze angeführt, das kläffend auf allen Vieren über Stock und Steine rast. Aber auch Hitschke selbst scheint sich nach und nach zu verändern.
Dass sich Verena Güntner, 1978 in Ulm geboren, für Wandlungsprozesse verschiedener Art interessiert, hängt vielleicht mit ihrem ersten Beruf zusammen: Sie ist Schauspielerin. Die Verschmelzung mit vollkommen fremden Existenzen war viele Jahre lang Teil ihres Alltags. Auf sehr eigene Weise vermittelt sie in ihrem zweiten Roman „Power“ kindliche Gefühlswelten und die Ödnis der Provinz. Güntner wurde 2013 mit dem Kelag-Preis ausgezeichnet und kam mit ihrer ungewöhnlichen Geschichte über kollektive Verwilderung und die Randzonen der Zivilisation auf die Auswahlliste des Preises der Leipziger Buchmesse 2020. (M. A.)
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Es bringen“, Roman, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014
– „Power“, Roman, DuMont, Köln 2020