Eigentlich haben Themen wie Identität und das Trauma der Jugoslawienkriege Sandra Gugić immer beschäftigt. Im Romanerstling „Astronauten“ (2015) streift sie diese Fragen noch indirekt, als Echo der Gewalt: Drei Jugendliche erleben einen Sommer in Wien. Drei Migrantenkinder von Eltern, die vor diesem Krieg Richtung Westen geflohen waren. Drei Verlorene, die Verrat und Brudermord der Eltern-Generation am Ende fortsetzen, die Kette von Wiederholungen reicht bis in die Sprache.
Nun, im zweiten Roman „Zorn und Stille“, wagt sich Sandra Gugić tiefer in die jüngste Geschichte des einstigen Jugoslawiens. Billy Bana, die eigentlich Biljana Banadinović heißt, hat ihre Eltern mit siebzehn schon in Wien verlassen, machte Karriere als Fotografin und lebt nun in einer lesbischen Beziehung in Berlin. Aber der Tod des Vaters, sein Begräbnis in Belgrad, die Rückkehr in ein Land, das es nicht mehr gibt, als „eine von uns“, holen Billy zurück in die Verstrickungen der Familie und der politischen Konflikte. Wer hat Schuld an der Gewalt? Warum verschwand ihr Bruder? Mit welchen Träumen gingen die Eltern seinerzeit nach Wien? Wie erzählen Vater Sima und Mutter Azra ihr Leben? Und wer ist Billy Bana alias Biljana Banadinović wirklich? Solchen Fragen stellt sich die Fotografin in Erinnerungsbildern, Nahbildern, Eigenbildern, Hintergrundbildern.
Sandra Gugić ist 1976 in Wien als Tochter serbischer Migranten geboren und dort aufgewachsen. Sie hat Sprachkunst in Wien und literarisches Schreiben am Literaturinstitut Leipzig studiert und lebt seit einigen Jahren in Berlin. Dort gewann sie 2012 den Open Mike und erntete Preise für „Astronauten“. Sie ist Mitbegründerin von nazisundgoldmund.net und engagiert gegen politisch Rechte in Europa und ihre internationalen Allianzen. Und sie war künstlerische Leiterin der Literaturkonferenz zur Erosion des Demokratischen 2018 in Berlin. Eine sehr geglückte Mischung aus politischen Aktivitäten und literarischem Talent. (C. Z.)
Auszeichnungen u. a.: Hohenemser Literaturpreis (2011), Preis der Akademie Graz (2012), Autorenstipendium der Stadt Wien (2013), Wiener Werkstattpreis (2016), Arbeitsstipendium Literatur des Berliner Senats für Kultur und Europa (2019), Heinrich-Heine-Stipendium (2020).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Astronauten“, Roman, C. H. Beck, München 2015
– „Touristen“, Kurzgeschichte, Literatur Quickie, Hamburg 2017
– „Protokolle der Gegenwart“, Gedichte, Verlagshaus Berlin, 2019
– „Zorn und Stille“, Roman, Hoffmann und Campe, Hamburg, August 2020