Nell Zink ist ein Wunder. Mit fünfzig Jahren war sie Debütantin und Shootingstar der Literaturszene in Deutschland und den USA und ihr Erstling „Der Mauerläufer“ eines der „100 notable books 2014“ für die New York Times; ein Ehe-, Selbstfindungs- und Umweltroman. Ihr zweiter Roman „Virginia“ (2019), ein amerikanisches Frauenleben samt antirassistischem, schwarz-weißem Verwechslungsszenario stand auf der Longlist für den National Book Award. Nell Zink ist immer gut für überraschende Wendungen und neue Themen: Vogelkunde, guter und schlechter Sex, Vegetarismus und Naturschutz, auch eine Persiflage auf amerikanische Happy Endings darf sein, wie in „Virginia“. Ihre Romane entstehen auf einer Matratze, den Laptop auf den Knien, in ihrem Ein-Zimmer-Apartment in Bad Belzig, in Brandenburg also, wo sie sich vor Jahren niederließ, zwischen den Freunden in Dessau und dem Berliner Flughafen. Überraschend und charakteristisch für ihre Romane ist ihr trockener Witz, ihr behänder Wechsel zwischen den Themen, die Leichtigkeit und virtuose Stilsicherheit, die manche anfangs unken ließ, Nell Zink sei ein Pseudonym, von Jonathan Franzen etwa.
Wenn es wahr ist, was Nell Zink dem „Guardian“ erzählte, dann sah ein Schamane in ihrem Inneren eine bunte psychedelische Party mit lauter schrägen Typen. Und so sieht auch ihr neuer Roman aus: „Das Hohe Lied“, das gerade auf Deutsch erschien. Ein bunter, wilder Roman um das Musiker-Paar Pam und Daniel, ihre Spießer-Eltern, ihre Tochter Flora und den Freund Joe, der zum Rockstar wird, ein Gesellschaftspanorama von New Yorks Punk- und Rockszene der neunziger Jahre, über das Attentat auf das World Trade Center, die Umweltbewegung und ihre Grenzen heute. Nell Zink, 1964 in Kalifornien geboren, in Virginia aufgewachsen, seit zwanzig Jahren in Deutschland, interessiert sich für soziale Milieus und die Alltagskultur der USA. Sie hat selbst in einer Band gespielt und gab die „Fanzine Animal Review“ heraus. Selbst Leserinnen und Leser ohne Punk-Ambitionen werden ihre Freude haben an diesem politisch gefärbten, lakonisch, ironisch-heiteren Roman mit seinem fein schraffierten Figuren-Ensemble und den frechen, pointierten Dialogen. Ein Lesevergnügen. (C. Z.)
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Der Mauerläufer“, Roman, Rowohlt, Reinbek 2016
– „Knochenbrecher. Eine Story“, Rowohlt, Reinbek 2017
– „Nikotin“, Roman, Rowohlt, Hamburg 2018
– „Virginia“, Roman, Rowohlt, Hamburg 2019
– „Das Hohe Lied“, Rowohlt, Hamburg, August 2020