Vorauseilende Wehmut sei der beste Zustand, findet die Schriftstellerin Tanja Arnheim, die seit ihrem Debüt mehr oder weniger Kultstatus genießt, auf einen ultimativen Einfall für ihr neues Buch wartet und im Frühjahr 2018 in ihr stilsicher gestaltetes Leben einen Mann integriert. Optisch passend, versteht sich, und ähnlich versessen auf Labels und Benennungen wie sie. Beide sind Distinktionsspezialisten. Jerome Daimler ist Webdesigner und wohnt im Rhein-Main-Gebiet, Tanja in Berlin. Sie tauschen permanent Nachrichten aus, die sie ebenso sorgfältig kuratieren wie den Rest ihres Daseins. Jede ihrer Gesten ist kodiert und kann vom anderen dekodiert werden. Auch ihr vermeintliches Inneres entschlüsseln sie wie einen Baukasten. Sex, Drogen, Freundschaft, lange Partys, erlesene Teezeremonien – aber all das nützt nichts, irgendwann verlieren sich Tanja und Jerome, und ausgerechnet sie, die Benennungs- und Selbstbeobachtungsexperten, finden keine Sprache füreinander. Leif Randt, 1983 in Frankfurt am Main geboren, zielt nach seinen dystopisch-futuristischen ersten beiden Büchern in seinem perfekt komponierten dritten Roman auf die Psyche der Dreißigjährigen. Aber vielleicht ist Psyche ein viel zu altmodisches Konzept für diese gleißende zeitdiagnostische Bestandsaufnahme. Tanja und Jerome würden vermutlich eher von „mood“ sprechen – am Ende funkt ihnen genau das, wofür ihnen das Sensorium fehlt, dazwischen. Mehr Einsamkeit war selten. (M. A.)
Auszeichnungen u. a.: Nachwuchsautorenpreis KulturSPIEGEL (2009), MDR-Literaturpreis, Nicolas-Born-Debütpreis (2010), Ernst-Willner-Preis (2011), Düsseldorfer Literaturpreis (2012), Stipendium Villa Aurora, Los Angeles (2013), Erich-Fried-Preis (2016).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Leuchtspielhaus“, Roman, Berlin Verlag, 2010
– „Schimmernder Dunst über Coby County“, Roman, Berlin Verlag, 2011
– „Planet Magnon“, Roman, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015
– „Allegro Pastell“, Roman, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020