Paul Celan war der bedeutendste deutschsprachige Lyriker seiner Zeit. 2020 ist das Jahr seines doppelten biografischen Jahrestags. Am 23. April war sein 50. Todestag: Er ertränkte sich 1970 in Paris in der Seine. Und am 23. November jährt sich sein 100. Geburtstag: Paul Celan wurde 1920 als Kind jüdischer Eltern in Czernowitz geboren. Aus diesem Anlass hat das Erlanger Poetenfest den Kritiker und Literaturwissenschaftler Helmut Böttiger eingeladen, der als einer der versiertesten Celan-Kenner gilt und zahlreiche Bücher über ihn veröffentlicht hat. Mit sprachlicher Eleganz, erzählerischem Witz und großer Kennerschaft hat er in „Orte Paul Celans“ (1996) über die Lebensstationen des Dichters geschrieben. In „Wie man Gedichte und Landschaften liest“ (2006) folgte er Celan ans Meer und untersuchte die Gedichte, die in zwei Aufenthalten in der Bretagne entstanden sind. Und in „Wir sagen uns Dunkles“ (2017) erzählt Böttiger die komplizierte Liebesgeschichte zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan mit großem psychologischem Gespür.
In seinem aktuellen Buch „Celans Zerrissenheit. Ein jüdischer Dichter und der deutsche Geist“ wirft Helmut Böttiger einen neuen Blick auf den Dichter und räumt mit vielen falschen Vorstellungen und romantischen Heroisierungen auf. Der traurige Poet ist mehr als eine Projektionsfläche für verdrängte Schuld oder ein Schulbuchautor, hinter dessen „Todesfuge“ das übrige Werk zurücktritt. Besonders beleuchtet Böttiger Celans Leben und Werk vor dem geistesgeschichtlichen Hintergrund der Nachkriegszeit mit ihren starken Verwerfungen. Weil er ihre Sprache bewunderte, fühlte sich Paul Celan paradoxerweise zu rechten Autoren und Denkern wie Ernst Jünger oder Martin Heidegger hingezogen, die ihn natürlich ablehnten. Verehrt wurde Celan dagegen von linken Schriftstellern wie Heinrich Böll, Günter Grass oder Hans Magnus Enzensberger, mit deren Sprachhaltung er aber nichts anfangen konnte. „Celans Zerrissenheit“ ist eines der herausragenden Celan-Bücher in diesem Jahr.
Dirk Kruse
Helmut Böttiger: Celans Zerrissenheit. Ein jüdischer Dichter und der deutsche Geist. Galiani. Berlin, Mrz 2020