Die literarischen Figuren von Birgit Birnbacher haben etwas Ambivalentes, über das auch ihre Rezensenten uneins sind. Sind es Porträts der sozialen Wirklichkeit? Machen Leserin und Leser Erfahrungen über die Generation WhatsApp („Wir ohne Wal“), über prekäre Lebensverhältnisse („Der Schrank“) oder über Straffälligkeit und Therapiechancen („Ich an meiner Seite“), wenn sie ihnen bei der Lektüre begegnen? Oder erleben sie eine hoch artistische Autorin beim Jonglieren mit luftigen Gebilden aus Sprachrhythmus, Traditionszitaten und Anspielungsreichtum?
Vielleicht spiegelt die Schriftstellerin aus Österreich ja alle Elemente geschickt ineinander. Vielleicht wurde ihre relativ kurze Literatur-Karriere deswegen schnell mit vielen Förderpreisen und im letzten Jahr gar mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis (für „Der Schrank“) begleitet. Birgit Birnbacher wurde 1985 in Scharzach im Pongau geboren, steuerte aber nicht geradlinig auf das Schreiben zu. Nichts erscheint geradlinig auf ihrem Weg: Schulabbruch, Lehre, Entwicklungshilfe in Indien und Äthiopien, nachgeholtes Abitur, Studium der Soziologie und Sozialwissenschaften, Sozialarbeit.
Ob sie deswegen eine Resozialisierungstherapie zum Thema ihres aktuellen Romans „Ich an meiner Seite“ genommen hat? Arthur, der aus dem Gefängnis kommt, soll sich als Hauptfigur eines Hollywoodfilms imaginieren, um wieder in der Gesellschaft Fuß zu fassen. Aber wollen das der skurrile Therapeut Börd und sein Patient gemeinsam? Oder geht es doch in eine Richtung, die Birnbachers Personal immer wieder anpeilt: „Raus hier!“? (H. H.)
Auszeichnungen u. a.: Rauriser Literaturförderpreis, Autorenpreis Irseer Pegasus (2015), Förderpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung, Theodor-Körner-Förderpreis (2016), Jahresstipendium Land Salzburg (2018), Ingeborg-Bachmann-Preis (2019).
Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Mal lichterloh, mal wasserblau“, Ed. Tandem, Salzburg 2013
– „Wir ohne Wal“, Roman, Jung und Jung, Salzburg 2016
– „Ich an meiner Seite“, Roman, Zsolnay, Wien 2020